Trotz Corona und schließlich auch wegen Corona haben wir auch in diesem Jahr die Aktionswochen Weltoffenes Werder organisiert. Mit den zahlreichen Veranstaltungen, gestreckt über zwei Wochen, war es uns ein Anliegen gerade in diesen speziellen Zeiten ein deutliches Zeichen zu setzen gegen Rechtsextremismus, Rassismus, Hass und Hetze und für eine weltoffene, solidarische und friedliche Gesellschaft.
Den Auftakt machte die Eröffnung der von der Organisation „Adopt a Revolution“ entwickelten Ausstellung „Repression, Revolution, Transformation. 1989 und 2011 zusammen erinnern“. Diese geht der Frage nach, welche Gemeinsamkeiten zwischen den Oppositionsbewegungen in der ehemaligen DDR und der Demokratiebewegung in Syrien bestehen.
Im Rahmen der Podiumsdiskussion zur Eröffnung der Ausstellung sprachen Zeitzeuginnen beider Bewegungen über ihre persönlichen Erfahrungen und Erlebnisse von 1989 in der DDR und 2011 in Syrien. Gemeinsam arbeiteten die Gäste auf dem Podium Gemeinsamkeiten aber natürlich auch große Unterschiede beider Bewegungen heraus und schlugen dabei auch den Bogen zur heutigen Zeit, 30 Jahre nach der Wiedervereinigung Deutschlands. Die Ausstellung war für knapp zwei Wochen in der Heilig-Geist-Kirche zu sehen und lud sowohl Touristinnen auf ihrem Rundgang über die Insel zum verweilen ein und lockte zugleich auch gezielt Interessierte in die historische Kirche.
Mehr Informationen zu Adopt a Revolution und der Ausstellung, die nun durch die Bundesrepublik tourt, finden sich hier: https://adoptrevolution.org/projekt/ausstellung-1989-2011-diktatur-opposition-revolution/
An Kinder und Jugendliche richtete sich der Theaterworkshop „Wir original Werder“. An zwei Nachmittagen ging die Gruppe aus jungen Menschen mit Hilfe theaterpädagogischer Methoden der Frage nach: Was haben wir gemeinsam? Was unterscheidet uns? Was bringt uns zusammen? Und warum sind wir gemeinsam „original Werder“?
Zum „Bankett für die offene Gesellschaft“ (siehe unten) brachten die Kinder und Jugendlichen dann in einer kleinen Performance das Ergebnis ihrer gemeinsamen Suche nach Antworten auf diese Fragen auf die improvisierte Bühne.
Mit Musik und Poesie erfüllte die Gruppe Sauti é Haala das Havelufer. Während die vertonten Gedichte der afrodeutschen Dichterin May Ayim das Publikum eher nachdenklich stimmten, luden Lieder wie „Mama eh“ oder „Sama yaye“ die zahlreichen Gäste zum mitsingen ein. So verband sich die künstlerische Auseinandersetzung mit Rassismus und Kolonialismus mit einer immer wieder auch heiteren und gelösten Atmosphäre.
Der Höhepunkt der Aktionswochen war unser „Bankett für die offene Gesellschaft“. Eine lange gedeckte Tafel, mit mitgebrachten Speisen – so wie wir es ursprünglich geplant hatten – war auf Grund der Einschränkungen durch die Corona-Pandemie in diesem Jahr nicht möglich. So fanden sich auf der Wiese vor der Heilig-Geist-Kirche die Gäste in kleineren Sitzgruppen mit Kaffee und Kuchen zusammen. Von Kellner*innen wurde ihnen nur Symbolisch Vorspeise, Hauptgang und Dessert serviert. Tatsächlich befanden sich unter den Servierglocken Fragen und Gesprächsanreize, die sich von einem vorsichtigen Kennenlernen mit jedem Gang immer tiefer gehenden Themen und Fragenkomplexen annäherten. „Seit wann lebst du in Werder?“, „Wozu hättest du gerne Mut?“, „Was ist die größte Herausforderung für unsere Gesellschaft?“ …
Dabei verfolgten wir das Ziel, dass Menschen aus Werder miteinander ins Gespräch kommen über die Frage, in welchem Werder sie gerne leben möchten und was sich dafür verändern sollte.
Begleitet wurde die Gesprächssituation von thematischen Informationsständen u.a. von der Initiative Offene Gesellschaft, Schöner Leben ohne Nazis und anderen.
Während die Gespräche an den Tischen langsam ausliefen, begann bereits der Umbau für die anschließende szenische Lesung. Die Autorin Manja Präkels las begleitet von zwei Musiker*innen der Gruppe „Der singende Tresen“ aus ihrem preisgekrönten Debütroman „Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß“. Auf eindrucksvoll Weise schildert der Roman das Leben und Erwachsen werden in der Wendezeit in einem Ort in Brandenburg und das Erstarken der Neonazi-Szene.
Die anschließende Diskussion zeigte, wie wichtig die Auseinandersetzung mit diesen auch „Baseballschlägerjahren“ genannten Zeit aus einer Antirassistischen Perspektive ist.
Sehr gefreut haben wir uns über den Besuch unserer Kulturministerin Manja Schüle bei der Lesung.
In der darauffolgenden Woche war die internationale Wandertheatergruppe aus Glindow „Ton und Kirschen“ mit ihrem wunderbaren Stück „Die Legende vom heiligen Trinker“ im Rahmen der Aktionswochen zu Gast. Innerhalb kürzester Zeit verwandelte sich der staubige Wendehammer an der Luisenstraße in eine Theaterbühne und rund 150 Menschen verfolgten gebannt die Aufführung. Vor dem Beginn setzte das Publikum noch eine deutliches Zeichen für Humanität und Menschrechte und forderte mit uns gemeinsam die Stadtverordneten von Werder auf, die Stadt zum „sicheren Hafen“ für Menschen auf der Flucht zu erklären. Leider wurde dies in der SVV wenige Tage später mit den Stimmen der CDU und AfD abgelehnt.
Am Mittwoch zeigten wir den Dokumentarfilm „Tokanara“ im Scala Kulturplast. Tokanara porträtiert vier Menschen, die aus ihrer Heimat fliehen mussten und in Brandenburg ein neues ZU Hause gefunden haben. Dabei setzt sich der Film auch kritisch mit den Asylbedingungen in unserem Land auseinander und erzählt von Rassismuserfahrungen, die viele Menschen hier erleben.
Rund 70 Schüler*innen waren gekommen, um den Film zu sehen und anschließend mit den Protagonistinnen ins Gespräch zu kommen. Man konnte deutlich erkennen, wie sehr sich die Schülerinnen das Thema des Films zu Herzen genommen hatten: sie fragten vor allem nach Möglichkeiten, sich gegen Diskriminierung zu engagieren bzw. wie man geflüchtete Personen bei der Ankunft in Deutschland unterstützen kann. So stellten die Protagonstinnen des Films beispielsweise verschiedene Vereine vor, denen die Schülerinnen sich als Ehrenamtliche anschließen könnten. Nach Abschluss der Veranstaltung suchten einige Schülerinnen sogar noch persönlich mit den Referent*innen das Gespräch, weil der Film so viel in ihnen bewegt hatte.
Am selben Tag fand – Corona bedingt – VOR der Gemeinschaftsunterkunft in der Schubertstraße der Abschluss des Recycling-Projekts „Klumpatsch“ statt. Die im Rahmen der kreativen Arbeit der Kinder entstandenen Tiere aus recycelten Materialien verzieren nun den Zaun vor der Unterkunft und verschönern das Gelände.
Den Abschluss der Aktionswochen bildete das Begegnungscafé des Netzwerk Neue Nachbarn, bei dem Menschen mit und ohne Fluchterfahrung zusammen kommen, sich kennenlernen können und einen Ort für Austausch und Begegnung ermöglicht wird.
In der Stadtbibliothek Werder war im Rahmen der Aktionswochen ein thematischer Bücherstand zum Thema Diversität aufgebaut. Eine passende Veranstaltung konnte leider ebenfalls Corona-bedingt nicht stattfinden.
Wir blicken sehr zufrieden zurück auf diese zwei prall gefüllten Wochen. Viele Menschen haben sich für die zahlreichen Veranstaltungen und Aktionen interessiert und es gab spannende Gespräche und Debatten. Und die Aktionswochen haben wieder einmal gezeigt: Viele Menschen hier in Werder setzen sich ein für eine weltoffene und solidarische Stadt und zeigen Gesicht gegen jede Form von Rassismus, Menschenfeindlichkeit und Hass.
Wie bedanken uns ganz herzlich bei allen, die zu den Aktionswochen beigetragen haben. Bei allen Künstlerinnen und Aktivistinnen, den ehrenamtlichen Helfer*innen und bei der Landeszentrale für politische Bildung, der Staatskanzlei des Landes Brandenburg und der Stadt Werder (Havel) für die finanzielle Unterstützung.
Und natürlich bei euch allen, die ihr zu den Veranstaltung gekommen seid!